Das Transit Filmfest zeigt AVERROES & ROSA PARKS: Zugang zu einer Sphäre, die wir Realität nennen: In unverstellter Cinéma-Vérité-Manier bringt Nicolas Philiberts Psychiatrie-Doku unsere Vorstellung von Wirklichkeit ins Taumeln.
Nahezu unvermittelt wirft uns AVERROÈS & ROSA PARKS in die erste Gesprächssituation: Wir wohnen einer Gruppendiskussion über Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung bei. Doch schnell wird klar: Die Menschen, die hier zu Wort kommen, haben im Spektrum zwischen mentaler Gesundheit und Krankheit einen Punkt erreicht, der sie alleine nicht mehr zurechtkommen lässt. Sie sind Bewohner*innen der psychiatrischen Klinik Esquirol in Paris.
Es sind fesselnde Erzählungen bewegter Leben, die wir in den zahlreichen intensiven Therapiegesprächen hören. Ein buddhistischer Jude will das Bildungssystem revolutionieren. Ein brillanter Philosophieprofessor hat sich nie vollständig von einem verhängnisvollen LSD-Trip erholt. Eine Frau fühlt sich nachts von einer geheimnisvollen Gestalt verfolgt, die ihr regelmäßig ihre Zigaretten stiehlt. Natürlich wissen die Patient*innen, dass sie gefilmt werden. Doch Nicolas Philibert nutzt diesen Reaktivitätseffekt und den Einfluss der Kamera als Mittel, um etwas zutiefst Menschliches zu enthüllen; um verborgene Wahrheiten ans Licht zu bringen. Das ist die hohe Kunst des Cinéma Vérité. Und es offenbart sich ein subtiler, aber bedeutsamer Unterschied: wer von uns Zugang zu einer Sphäre hat, die »Realität« genannt wird. Dieser schmale Grat wird in AVERROÈS & ROSA PARKS sichtbar.
Content Note: Depression
Nicolas Philibert | FRA 2024 | 143′ | OmU
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